Der griechische Schriftsteller und Geschichtsschreiber Xenophon schrieb um 365 v. Chr. sein Werk “Reitkunst”, in dem er seine gesammelten Erfahrungen zusammenfasste, die er bei der Ausbildung von Pferden sammelte. Dieses Werk bildet das Fundament der gesamten hippologischen Literatur und generell der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Pferd. Xenophon ist somit der erste Hippologe, und wir verdanken ihm bis heute gültige Ausbildungsgrundsätze und -methoden, die überraschend zeitlos und von tiefem Respekt gegenüber dem Partner Pferd und seinen spezifischen Bedürfnissen geprägt sind.
Xenophons Ausbildungs-Grundsätze *
I
Dein Pferd sei zuverlässiger Freund, nicht Sklave!
II
Widme seiner Ausbildung so viel Aufmerksamkeit, als ginge es um deinen eigenen Sohn. Achte darauf, dass Körper
und Seele deines Pferdes sorgfältig geschult werden. Es soll sich durch Leistungsvermögen und Zuverlässigkeit
auszeichnen.
Seine charakterliche Prägung und Formung sei dir besonders wichtig! Präge es von seinen ersten Lebenstagen an so, dass es zu dir tiefes Vertrauen fasst, dich respektiert und dir gehorcht. Mache dein Pferd menschenfreundlich! Es soll dich geradezu lieben.
III
Bringe es zu Arbeitsfreude und freiwilligem Gehorsam!
IV
Sei achtsam und nimm auf seine Bedürfnisse
Rücksicht!
V
Setze alles daran, dich deinem Pferd verständlich mitzuteilen. Es soll deine Sprache verstehen! Belohnung und
Strafe sind die einzigen Erziehungsmittel. Aber Belohnung hat unbedingt Vorrang. Belohne jede besondere Leistung
und jeden Lernfortschritt — am besten, indem du ihm eine Pause gönnst oder die Arbeit beendest.
VI
Langweile dein Pferd nicht! Variiere die Arbeit, biete ihm unterschiedliche Anregungen.
Reite es nicht nur in der Bahn, trainiere es im Gelände, beim Springen und auf der Jagd.
VII
Arbeite an deiner eigenen körperlichen und charakterlichen Schulung! Bemühe dich um einen korrekten, von der Bewegung des Pferdes unabhängigen Sitz, der dir bei jeder Übung, jedem Tempo und in jedem Gelände ein kontrolliertes
Einwirken auf das Pferd ermöglicht.
Deine Hand darf unter keinen Umständen das Pferd im Maul stören.
Erziehe dich dazu, in jedem Fall Ruhe zu bewahren und deine Emotionen zu kontrollieren.
Gib Zornausbrüchen keinen Raum.
VIII
Mach dir klar, dass die Lektionen der höheren Dressur keine Kunststücke sind, die du deinem Pferd mit Hilfe unnatürlicher
Zwangsmittel beibringen kannst. Sie sind Formen der imponierenden Selbstdarstellung des Pferdes, die es in besonderen
Erregungszuständen vor seinen Artgenossen von sich aus zeigt.
IX
Dein Pferd soll Freude bei seiner Arbeit empfinden und in seinen Bewegungen und seiner Haltung Begeisterung
zum Ausdruck bringen.
X
Versuche nicht, dein Pferd durch stark rückwärts wirkende Zügeltätigkeit
oder andere Zwangsmittel zu versammeln und aufzurichten. Reite bestimmt vorwärts bei leicht anstehendem, im entscheidenden Moment nachgebendem oder hingegebenem Zügel.
* Mit freundlicher Genehmigung des Autors Dr. Klaus Widdra.